Sonntag, Februar 12, 2006

Walk the Line (James Mangold) Bitter Weed, Bad Seed

Großartig, abgesehen vom Titel, der ja nun leider der naheliegenste überhaupt ist. Nur "Ring of Fire" wäre noch schlechter gewesen. Aber das, was Joaquin Phoenix und Reese Witherspoon da zusammengespielt und -gesungen haben, war einfach grandios. Ich finde, in einer Zeit, in der Kino mit digitalen Effekten alles machen kann, muss man anerkennen, wenn Filmemacher sich die Zeit und Nerven nehmen, Musik und Gesang neu zu produzieren und von den jeweiligen Schauspielern vortragen lassen (wie auch Oliver Stone mit Val Kilmer in "The Doors"). Phoenix und Witherspoon haben jede Zeile selbst gesungen. Respekt! Insgesamt hätte ich mir etwas mehr von dieser Musik gewünscht. So sehr die Liebesgeschichte in Cashs Leben eine Rolle gespielt haben mag, ist sie doch im Film wiederum beliebig, denn wir haben so etwas schon ein dutzend Mal gesehen. Auch der Absturz des Erfolgreichen in Alkohol und Pillen musste zum Klischee werden, das ließ sich nicht vermeiden. Doch mit der Musik, besonders im ersten Teil des Films, lässt sich das aushalten. Ich war noch nie im Kino von der Filmmusik so berührt gewesen. Das kann auch damit zusammenhängen, dass ich mit dieser Musik ("Jackson", "Cry, Cry, Cry", "Folsom Prison" usw.) aufgewachsen bin. Seit ich mich erinnern kann, hatte mein Vater Cash gehört. In letzter Zeit hatte ich diese alten Songs gar nicht mehr gehört, weil die American Recordings von Cash und Rick Rubin so einen großen Stellenwert eingenommen hatten. Das wird sich nun wieder ändern. Natürlich haben mir auch die Bilder dieses großartigen Landes zugesetzt - ich habe so eine Art Heimweh nach Nashville, Memphis und auch der Leere in Arkansas bekommen. Ich war dort nie zu Hause, aber das ist es eben: man muss es nur einmal mit seinen eigenen Augen sehen, man muss es einmal gerochen haben und, wenn man ein Herz hat, es lässt einen nie mehr los. Amerika ist ein großes Land, Irland ist ein Sheep Shit.

Gefüttert werden diese ganz persönlichen Gefühle durch Cashs soziopathische Melancholie, die in einer sehr komischen Spannung zu seiner christlichen Spiritualität steht. Wenn Cash in Songs wie "Delia's Gone" davon singt, wie er leider seine Frau erschießen musste, dann kommt da alles zusammen: der Rebell, der sich nicht von seiner Frau auf der Nase rumtanzen lässt, der Sünder, der in seiner Zelle kurz davor steht, verzweifelt zu bereuen und auch der zu dämonischen Taten getriebene und verwirrte Mensch, dem nur noch ein Gott helfen kann. Alle drei Sachen sind ernst gemeint: seine Individualität und sein Selbstrespekt verlangen, sie zu erschießen, er darf aber nicht, denn das Gestz Gottes steht über der Ehre des Mannes und doch kann er nicht anders, als sie zu erschießen. Diese Songs reflektieren eine ganz archaische Patriarchialität, die man in all den monotheistischen Religionen wiederfindet. Am Ende ist nur wichtig, dass man immer ein Mann war, egal was passiert, selbst wenn man Sue heißt oder gehängt wird. Das hat in der Country-Musik und im Rock'n'Roll, zwischen diesen beiden Fronten steht Cash, überlebt. Dass er zwischen dem konservativen, christlichen Country auf der einen und dem anarchischen Rock auf der anderen Seite steht und immer wieder beide Seiten aufs Bitterste enttäuscht hat, weil er einfach nur Johnny Cash mit all seinen Widersprüchen selbst geblieben ist, hat ihm den außergewöhnlichen Platz in der Musikgeschichte gesichert. Mal ehrlich: wie viele Musiker haben erreicht, dass Väter und Söhne (yes, it's a man's thing) über Jahrzehnte die gleiche Musik hören.